«Projizieren» oder «projezieren»?
Anstelle von «projizieren» wird immer wieder «projezieren» geschrieben. Rechtschreibwörterbücher lassen nur die Variante mit «ji» zu. Ist das Willkür, oder gibt es dafür gute Gründe? Wieso schreibt man beim Verb ein «i», während Substantive, die damit zusammenhängen, mit «e» geschrieben werden, nämlich «Projekt», «Projektor», «Projektion»?
Alle diese Fremdwörter gehen auf das lateinische Wort proicere zurück Es bedeutet u. a. ‹vorwerfen, vorspringen, vorwärts hinwerfen, hinauswerfen›. Es wird auf dem «i» betont. Die beiden «e» sind kurz. Das «c» wurde in der Antike auch vor «e» und «i» wie ein «k» ausgesprochen, später wie ein «z»; in den anderen Fällen sprach man das lateinische «c» immer wie ein «k» aus. Unsere Fremdwörter «projizieren» und «Projektor» wurden entsprechend der neulateinischen Aussprache übernommen. Das ist der Grund für das «z» und das «k» darin.
Bereits in der Antike gab es die Schreibvariante proiicere. Mit vergleichbaren Fällen deutet das darauf hin, daß ein «i» nach solchen Vorsilben in etwa wie «ji» ausgesprochen wurde. Man findet bereits in antiken Originaltexten ein Zeichen, das «langes I» genannt wurde. Es stand für ein lang gesprochenes I oder für den Halbvokal Jot oder einfach als großer Anfangsbuchstabe. In Inschriften ist es nach oben, nicht nach unten verlängert, in Handschriften nach oben und unten.
Eine systematische Verwendung von «i» und «j», die mit einer Unterscheidung des Vokals I und des Halbvokals Jot einhergeht, wurde erst in der Neuzeit durchgesetzt. Als Urheber werden Petrus Ramus (Pierre de la Ramée) und der ältere Gian Giorgio Trissino genannt. Das Jot wurde damit als eigenständiger Buchstabe ins lateinische Alphabet eingefügt, war also nicht mehr nur eine Schreibvariante des I.
Bei den römischen Grammatikern war umstritten, ob man in solchen Fällen wie proiicere ein, zwei oder gar drei «i» schreiben solle. Im letzten Fall stünden die beiden ersten «i» für den Jot-Laut. Es finden sich Belege für die verschiedenen Schreibweisen. Die Formen mit zwei «i» und dann mit «ji» haben sich im Laufe der Jahrhunderte durchgesetzt und waren der Ausgangspunkt für die Entlehnungen in die modernen Sprachen. Erst altphilologische Überlegungen im 19. Jahrhundert haben dazu geführt, daß in neueren Textausgaben der Klassiker, in Grammatiken und Wörterbüchern die Formen mit einfachem «i», also proicio, statt proiicio (‹ich werfe nach vorn›) bevorzugt wurden.
Proiicere ist eine Zusammensetzung aus pro- (‹vor›) und iacere (‹werfen›). Das «a» ist betont. Es wird in der Zusammensetzung abgeschwächt zum «i», wenn ihm nur ein Konsonant folgt. Folgen ihm zwei, wird das «a» nur zum «e» abgeschwächt. Das trifft hier bei den Formen zu, die den Stamm des Perfekt Passivs verwenden, denn der endet auf -t-. Deshalb ist aus pro + iactus die Form proiectus geworden. Aus dem Neutrum proiectum wurde schließlich unser Fremdwort «Projekt». Mit demselben Stamm werden die Verbalsubstantive proiectio (‹das Vorwerfen›) und proiector (‹der Vorwerfer›) gebildet.
Dieser Lautwandel ist eine häufige Erscheinung im Lateinischen. Der Grund dafür ist, daß in vorklassischer Zeit, im Altlateinischen, die erste Silbe der Wörter betont wurde, was zur Folge hatte, daß in Zusammensetzungen die ehedem betonte Silbe ihren Akzent verliert, also abgeschwächt wird, und seine Färbung ändert. Manu Leumann hat dies «Vokalschwächung» genannt. Von «Umlaut» oder «Ablaut» solle man in diesem Zusammenhang nicht reden.
Der Grund dafür, daß es «projizieren», aber «Projekt», «Projektion» und «Projektor» heißt, liegt also in einem Lautwandelgesetz im Altlateinischen. Diesem Gesetz zufolge wurde aus dem «a» des Grundwortes iacere einmal ein «i», das andere Mal ein «e». Je nachdem welches lateinischen Wort zum Fremdwort wurde, schreibt man auch im Deutschen entweder «i» oder «e». Liegt der Präsensstamm proiic- zugrunde, schreibt man auf deutsch «projiz-». Liegt der Perfektpassivstamm proiect- zugrunde, schreibt man «projekt-».
Entsprechend verhält es sich mit den Wörtern «injizieren» und «Injektion» sowie den teilweise seltenen «subjizieren» und «Subjekt», «objizieren» und «Objekt».
Quellen:
J (lateinischer Wikipedia-Artikel)
J (englischer Wikipedia-Artikel)
Wilhelm Brambach, Die Neugestaltung der lateinischen Orthographie in ihrem Verhältnis zur Schule, Leipzig 1868, bes. S. 198–202
Manu Leumann, Lateinische Laut- und Formenlehre, München 1977, bes. S. 79–83.
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