Der Spaziergang
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Ging ein Wiener Mediziner
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mit dem Freunde durch die Flur:
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Rief der Freund: wie hell und heiter
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Lacht der himmlische Azur!
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Sprach der Wiener Mediziner:
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Einen Himmel giebt es nicht,
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Nur vom irdischen Planeten
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Reflektiertes blaues Licht.
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Durch die Felder, durch die Auen
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Schweiften sie zum grünen Wald;
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Rief der Freund: wie voll und prächtig
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Der Gesang der Amsel schallt!
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Sprach der Wiener Mediziner:
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Leidlich hört das Lied sich an,
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Doch den Amseln ward verliehen
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Ein zu lautes Stimmorgan.
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Aus dem dunkeln Buchenwalde
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Zogen sie zum lichten Hain;
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Rief der Freund: wie lieblich duften
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Hier die Veilchen an dem Rain!
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Sprach der Wiener Mediziner:
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Die Familie Viola
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Dient uns vielfach zum Vomieren,
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Sonderlich die Ipeka.
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Von des Berges stolzem Gipfel
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Schauten tief sie in den Grund;
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Rief der Freund: dort wohnt mein Liebchen
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Kugelrund und kerngesund!
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Sprach der Wiener Mediziner:
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Traue du dem Liebchen nie,
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Ist sie erst dein Weib geworden,
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Quält sie dich mit Hysterie.
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In des Waldes kühler Schenke
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Suchten Labe sie beim Wein;
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Rief der Freund: ein edles Feuer
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Strömt in meine Adern ein!
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Sprach der Wiender Mediziner:
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Ei, ich glaube, du bist toll,
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Dieser Wein ist ganz gemeiner
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Fuselreicher Alkohol!
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Rief der Freund: wie wird mir plötzlich?
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Dreht die Welt im Ring sich um?
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Bohren Messer mir im Schädel?
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Droht mir das Delirium?
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Sprach der Wiener Mediziner:
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Bist ein wunderlicher Fall,
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Hast Entzündung des Gehirnes,
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Und gehörst ins Hospital!
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Rief der Freund: wie herrlich kühlet
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Mir das Eis den heißen Kopf,
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Doch nach vierundzwanzig Stunden
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War er weg, der arme Tropf.
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Sprach der Wiener Mediziner:
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Holt die Säge stark und groß,
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Daß ich ihm den Schädel öffne,
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Ob ich traf die Diagnos.
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Adolf Kußmaul
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