Ralf Heinrich Arning
Anfang und Ende.
Kleine musikalische Erörterung zur Vorwagnerszeit.
„I st doch diese Zauberflöte
Ganz veraltete Musik!
So ein göttlicher Prophete
Bricht ihr freilich das Genick.
Bester Doktor, wen ich noch so,
Noch so sehr es überleg’,
Ist es gleichwohl aber doch so –
Die Musik müßt’ mir hinweg!“
Wenn Sie wollen, ganz der Meinung,
Lieber Herr Kommerzienrat,
Insoferne die Erscheinung
Klassischen Charakter hat.
Klassisch nur ist, was parnassisch
Ist es klassisch, so entspricht’s,
Denn das Klassische ist klassisch
und das übrige ist nichts.
„Muß ich ganz natürlich finden
bester Doktor, ganz charmant,
Gleichwohl, aber wie begründen
Sie die Ansicht nachderhand?
Sehn Sie diesen Papageno
Oder den Sarastro an,
Ob das Publikum in pleno
Noch das Lachen halten kann!“
Hören Sie um Gottes willen!
Liebster Herr Kommerzienrat!
Weinen muß ich hier im stillen,
Daß man lachet, in der That.
Lachen kann man über alles,
Aber so ein Lachen ist
Nur ein Zeichen des Verfalles,
Das der Kunst am Herzen frißt.
„Bitte, bitte, bester Doktor!
Haben Sie denn, wie das scheint,
Ein so ganz und gar verstockt Ohr,
Daß Sie selbst dem Zopfe freund?
Nein, ich lobe den Propheten,
Hier ist klassische Musik,
Nämlich die ist nicht für jeden
Und für jedermanns Kritik.“
Liebenswürdig sind Sie immer,
Teuerster Kommerzienrat,
Um so schlimmer, um so schlimmer,
Wenn man sich zu zanken hat!
Nein! gerad im Gegenteile,
Die Musik sei nicht verlacht,
Welche niemand Langeweile,
Jedermann Vergnügen macht.
„Daß der Himmel uns bewahrte!
Hören Sie ein Meisterstück:
Hier das Kühne, dort das Zarte,
Und da haben sie Musik.
Kühn und zart ist auch der Mozart,
Ja, gottlobunddank auch er,
Gleichwohl aber doch nicht so zart
Und so kühn wie Meyerbeer.“
Um Vergebung, das ist eben,
Wie man’s nimmt, so oder so;
Und dem einen ist voll Leben,
Was dem andern leeres Stroh,
Und damit ich Ihnen offen
Meine Meinung sag’ ins Ohr,
Kommt mir Meyerbeer besoffen,
Wenn nicht ganz talentlos vor.
„Nein! das ist ja unerhört ja!
Haben Sie den Sonnenstich?
So was macht mich ganz verstört ja,
Bringt mich förmlich außer mich.
Ha! Was soll das Federlesen
Mit dem Mozart, das Geschrei –
Ein Pedant ist er gewesen,
Und ein Kindskopf nebenbei!“
Dieser ganz belieb’ge Sudler
Meyerbeer – „Ist ein Genie!
Mozart, der triviale Dudler?“ –
Voll Humor und Harmonie.
Meyerbeer, ein Schurke ist er!
„Mozart ist ein Lumpenhund!“
O Sie schändlicher Philister! –
„O Sie elender – Vagabund!“
Ludwig Eichrodt
Ludwig Eichrodt, «Anfang und Ende.», Gesammelte Dichtungen, Zweiter Band: Kehraus, Abschnitt «Sauser und Satiren», Stuttgart 1890, S. 410–413.

Die Rechtschreibung wurde beibehalten, die Typographie, wie Ligaturen und langes S, wurde vernachlässigt.
Der Text ist in der Vorlage in der Neuen Schwabacher gesetzt, das lateinische «in pleno» (‹insgesamt›) in einer Antiqua, hier statt dessen kursiv.

Zeitlicher Hinweis:
Meyerbeers Oper Le prophète wurde 1849 in Paris mit großem Erfolg uraufgeführt, es folgte die Aufführung in London und 1850 in Hamburg und an anderen deutschen Opernhäusern. Das Libretto von Eugène Scribe hatte Ludwig Rellstab übersetzt.
Textauswahl und -erfassung
Ralf Heinrich Arning
Erstveröffentlichung: 09.08.2011
Letzte Änderung: 09.08.2011
Inhaltsverzeichnis/Sitemap Technische Hinweise Rechtliche Hinweise Impressum/Kontakt Seitenanfang
Gestaltung und Textauswahl: Ralf Heinrich Arning Erstveröffentlichung: 09.08.2011 Letzte Änderung: 17.11.2011
URL dieser Seite: http://www.ralf-heinrich-arning.de/literatur/texte/gedichte/eichrodt/anfang-ende.html